"Ich kann nicht anders, als diese Mannschaft zu lieben."

Lobeshymnen und Lorbeerkränze erhielt die Torfabrik Meschede in diesem Jahr en masse. Sportlich hingegen lief es für das A-Team in der Regionalliga 3 Westfalen jedoch maximal mies. Da sich die Presseabteilung zu keiner fundierten und wohlwollenden Sportberichterstattung in der Lage sieht, folgt deshalb ausnahmsweise ein Selbsterfahrungsbericht des Trainers.

"Ein Samstagmorgen im November, 6:00 Uhr, der Wecker klingelt. Während sich der durchschnittliche Werktätige an seinem freien Tag noch dreimal rumdreht, raus aus den Federn. Selbstmitleid, zwei Kippen, zwei Kaffee, Klamotten ins Auto, Frau und Kindern auf einem Zettel noch schnell einen schönen Tag gewünscht und dann ab zum Treffpunkt.

 

Da stehen schon 15 Leute mit bester Laune, Gespräche in der Lautstärke einer startenden F16, erste Schlachtgesänge werden gegrölt. Ruhe einfordern. Der Spielmacher und Hoffnungsträger nicht erschienen, dafür aber zwei andere, die gar nicht eingeplant waren. Einer kommt zu spät. Egal. Die Mannschaft in zwei Bullis mit je 8 Sitzplätzen stopfen. Vor dem einen Bulli sammeln sich 11 Leute, vor dem anderen nur 4. Passt nicht, neu sortieren. Zehn Minuten später dann Abfahrt.

 

Eineinhalb Stunden über die Käffer ins sauerländische Outback nach Lüdenscheid gurken. In Visbeck meldet sich die Tankanzeige. Den ausgeliehenen Bulli des Kooperationspartners auf private Kosten betanken. Während der Fahrt reichlich Infos aus dem Liebesleben der Spieler und andere Geschichten aus dem Paulaner-Garten. Kritik bezüglich der Fahrtstrecke. Sorry, Rahmetalbrücke ist gesprengt. Oder soll ich mit dem Caritas-Bulli da jetzt wie Colt Seavers drüberspringen, frage ich.

 

Die Mannschaft ist gut gelaunt. Beim Warmlaufen machen die Ersten schlapp. Erstes Spiel, eine Minute vor Schluss steht es gegen den Tabellenzweiten noch 0:0. Ich brülle: 'Hellwach sein, Leute, hellwach!' Statt den Ball wegzudreschen, folgt ein unmotivierter Querpass durch den eigenen Strafraum direkt zum Gegner. 0:1, Abpfiff, Achselzucken bei der Mannschaft, Verzweiflung im Trainerteam.

 

Flammender Appell vor dem nächsten Spiel. Jetzt gelte es, 'mal die Eier auszupacken'. Gekicher zwar, aber keine Wirkung. Zwei Fernschüsse, zwei Gegentore. 0:2 gegen Lüdenscheid. Nix läuft zusammen. Pässe über zwei Meter kommen nicht an oder verhungern unterwegs. Rechts steht einer frei, Hoffnung. Der Ball wird nach links ins Aus gespielt. Es ist grausam. Im dritten Spiel dann die allererste Torchance. Der Ball geht 5 Meter am 2 Meter breiten Tor vorbei. 0:2 gegen Minden. Das nächste Spiel wird 2:0 gewonnen. Allerdings nur, weil der Gegner aus Ledde nicht angereist ist. Mittlerweile setzen bei 6 Grad Sturm und Nieselregen ein, ich friere wie ein Schneider.

 

Beim 1:4 gegen Lippstadt versuchen wir's mit einer neuen Aufstellung. Die Außenverteidiger verwechseln Rechts und Links. Korrekturbedarf. Zumindest fällt das erste und einzige Tor des Tages. Ich sehe es nicht, weil ich mir gerade einen Kaffee hole. Im letzten Spiel geht's gegen Langenhorst. Die haben bisher auch alles verloren. Wir rechnen uns Chancen auf einen Sieg und ein versöhnliches Saisonende aus. Der Gegner hat exakt 1 Auswechselspieler, wir haben 8. Wir verlieren mit 0:1.

 

Siegerehrung. Als Staffelleiter zuvor westfalenweit Saison und Termine koordiniert, Spielpläne gestaltet, Infos und Formulare versandt und über unseren Sponsor - Zahntechnik Stappert - sogar noch Pokale für alle organisiert. Kraft des mir verliehenen Amtes darf ich die Pokale überreichen. Den ersten Pokal bekommt meine eigene Mannschaft. Sie ist Letzter, freut sich aber trotzdem. Lüdenscheid wird knapp vor Dülmen zum Meister gekürt.

 

Auf der Rückfahrt dann Stau in ganz Lüdenscheid, strömender Regen, Windböen und Aquaplaning auf der Autobahn. Die Scheiben sind beschlagen, es riecht nach nassem Hund. Vielleicht ist es aber auch schon ein Wolf. Trotz Niederlagenserie ist die Stimmung blendend. Bundesligakonferenz im Radio, Schlachtgesänge. All das versuche ich auszublenden, hochkonzentriert manövriere ich die Mannschaft sicher zurück nach Hause.

 

Warum mache ich das eigentlich, habe ich mich während des nunmehr 10-stündigen Einsatzes mehrfach gefragt. Als wir die Abfahrt Meschede nehmen, sagt ein Spieler, der noch nicht so lange dabei ist: "Ich war heute echt nicht gut. Aber durch die Torfabrik habe ich so viele neue Freunde gefunden, das ist einfach geil."

 

Wir fahren stadteinwärts und ich fühle, wie mir ein mildes Lächeln in das gestresste Antlitz fährt. Mein Ärger verfliegt. Ich kann nicht anders, als diese Mannschaft zu lieben, stelle ich fest. Ich weiß genau, dass ich auch mit diesem Scheißtag meinen Frieden machen werde. Während ich das Equipment umlade, haben sich drei Viertel der Mannschaft schon grußlos in alle Himmelsrichtungen verzogen. Ich stehe alleine im Regen. Stille.

 

Wieder zuhause angekommen freue ich mich auf das Spiel des BVB gegen die Bayern. Beim Stand von 0:2 schlafe ich nach 10 Minuten erschöpft auf dem Sofa ein. Kurz wachwerden, als sich die Familie von mir verabschiedet. Da steht es 0:4. Ich schlafe weiter. Nachts um 3 Uhr werde ich wach. Habe geträumt, ich wäre als Gefangener in Nordkorea und hätte einen Termin bei Kim Jong-Un. Dann fange ich an diesen Bericht zu schreiben."